17. Juni 1953
Volkswerft-Stralsund 1953 |
17.Juni 1953 in Mecklenburg |
Volkswerft Stralsund am 18. Juni 1953 |
Der 17. Juni 1953 in Mecklenburg und Vorpommern.
Anmerkungen zu einem immer noch offenen Thema.
In: Zeitgeschichte regional, 7. 2003, H.2
Aus dem Text:
Acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, nach zwölf Jahren Nationalsozialismus und erst fünf Jahre, nachdem die allgemeine Entnazifizierung als nicht durchführbar eingestellt wurde, kann von einem Willen zu Freiheit und Demokratie in ganz Deutschland nicht die Rede sein. Wann auch hätte die Mehrheit der Deutschen diese zivilen Errungenschaften lernen und erfahren können: weder in der Weimarer Republik noch davor. Im Westen Deutschlands saßen spätestens seit Anfang der fünfziger Jahre nicht nur in Regierung und Verwaltung (dieses „Fach“-Personal wäre noch zu verkraften gewesen) ehemalige hochrangige Nazis, sondern ehemalige NS-Aktivisten hatten auch auf allen gesellschaftlichen Feldern wieder Einfluss: Sie erzogen in den Schulen und Universitäten die Jugend, hatten die Justiz fest im Griff, verbreiteten im Gesundheitswesen weiter ihre verächtliche Einstellung von der Wertigkeit des Menschen, vertraten an vorderen Stellen antiquierte und reaktionäre Kulturmuster in ihren Verbänden und Vereinen sowie nicht zuletzt in den Medien. In der sowjetisch besetzten Zone hatte man zwar in Teilbereichen – vor allem Schule und Justiz – rigoros das Personal ausgewechselt und die Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus formuliert, doch hatte es in beiden Teilen Deutschlands keine öffentliche gesellschaftliche Auseinandersetzung zum Dritten Reich und seinen Folgen gegeben, denn das Volk insgesamt war an einer Aufarbeitung seiner eigenen Vergangenheit nicht interessiert und ließ sich auch nicht dazu zwingen. Im Gegenteil: Die Verbände der Heimatvertriebenen hatten es in der BRD bald zu einer über alle Parteien hinweg einflussreichen Stellung gebracht, die auch auf die Umsiedler in der DDR große Wirkung zeigten. Der Anspruch auf Rückkehr nach Ostdeutschland, das hieß damals immer in die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie bzw. -Grenze, wurde bar jeden Unrechtsbewusstseins und in völliger Verkehrung von Ursache und Folgen die dominierende Forderung der deutschen Nachkriegszeit. Der BRD-Tag der deutschen Einheit am 17. Juni war gerade für die Heimatvertriebenen der nationale Feiertag, an dem sie mit Treffen, Aufmärschen und politischen Forderungen wesentlichen Anteil hatten, und sie waren sich ihrer Wirkung auch in der DDR sicher.
Das Grundempfinden in Deutschland war, mit wenigen Ausnahmen in beiden Teilen, autoritär geprägt und antikommunistisch ausgerichtet; hier wurde eine Tradition des Antikommunismus nach kurzer Unterbrechung wiederbelebt, die nun den NS-Rassismus und Antisemitismus ersetzte. In Mecklenburg-Vorpommern kommt hinzu, dass die dominierende Agrargesellschaft bis 1945 in weitgehend feudalen Abhängigkeitsverhältnissen gelebt und die NSDAP schon vor 1933 Mehrheiten besessen hatte. Zudem waren viele der berüchtigten Freikorps-Männer nach ihrem Verbot 1923 auf die riesigen landwirtschaftlichen Adelsgüter verteilt worden, wo sie versorgt waren, bis ihre Zeit wieder kommen sollte: als Mitglieder der SA-Trupps. Wenn auch die DDR-Geschichtsschreibung aus dem Kapp-Putsch in Mecklenburg 1920 eine Erfolgsgeschichte der Landarbeiter machte, so zeigen allein die genannten Zahlen die Überlegenheit der rechten Gegner. Waren es aber nicht gerade diese Landarbeiter, die von der Bodenreform nach 1945 profitiert hatten und 1953 keineswegs das System in Frage stellten, sondern nur und mit Recht bessere Arbeitsbedingungen wünschten? Und ähnelte dort, wo die eingesessenen Bauern zu den Aufständischen gehörten, ihr Verhalten nicht eher den alten Zeiten, in denen man ebenfalls eine „Revolution“ herbeigewünscht hatte, die dann 1933 eintraf? Die wenigen Funde dazu in den Archiven lassen diese Vermutungen zu, Forschungen hierzu wären sehr vonnöten.